Ein Nachmittag in der VIP-Loge

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Vor ein paar Jahren habe ich mal einen blöden Fehler gemacht. Kurz vor dem Wochenende rief ein Pressesprecher an, den ich ganz gut kannte, weil er privat mit einem Kollegen befreundet war.

Er sagte: „Hey, sag mal, wir haben da fürs Wochenende noch zwei Plätze in der VIP-Loge, Dortmund gegen Bremen. Haste nicht Lust?“

Der Fehler war, dass ich Ja gesagt habe.

Mir war klar, dass mit der Einladung nicht der Wunsch nach einer Gegenleistung verbunden sein würde. Es hatte überhaupt nichts Zwielichtiges. Vor allem wegen der Über-eine-Ecke-Verbindung empfand ich den Anruf eher als nette Geste. Und ich halte es nicht für ganz ausgeschlossen, dass es auch einfach so gemeint war.

Der Abend wurde sehr schön. Ich nahm meinen Vater mit, dessen einzige größere Schwäche seine Begeisterung für Borussia Dortmund ist. In der VIP-Loge traf ich einen Kollegen von einer anderen Zeitung. Erst ein paar Wochen später wurde mir klar, dass es vollkommen egal ist, ob es den Wunsch nach einer Gegenleistung gibt.

Der Mechanismus funktioniert anders, als man denkt, wenn man furchteinflößende Wörter wie „Einflussnahme“ oder „Korruption“ hört. Es ist nicht so wie zu Hause im Kinderzimmer, wo jemand donnernd in der Tür steht und mit nicht näher genannten Konsequenzen droht, wenn das Zimmer nicht aufgeräumt wird. Niemand droht. Das Schmiermittel heißt Freundlichkeit.

Wenn jemand einem einen Gefallen getan hat, muss er nicht dazusagen, dass er dafür gern etwas hätte. Das Gefühl, in der Schuld zu stehen, entwickelt sich ganz automatisch. Und das muss nicht bedeuten, dass man sich bemüht, die Schulden so schnell wie möglich zu begleichen. Nur, wenn der Gönner umgekehrt mal eine Bitte hat, fällt der Satz „Das geht leider nicht“ eben deutlich schwerer.

Das Blöde ist, dass wieder mal nicht alles nur schwarz und weiß ist. In den seltensten Fällen erwarten Menschen, die einem mal einen Gefallen getan haben, dass man als Gegenleistung dafür Gesetze bricht. Oft geht es um Kleinigkeiten, Gefälligkeiten, die manchmal auch durchaus vertretbar sind.

„Du, wir haben hier ein Foto von einer Scheckübergabe. Kriegt ihr das morgen noch in die Zeitung?“

Wenn man dann nicht mehr mit gutem Gefühl Nein sagen kann und sich gegen die Interessen der Leser entscheidet, weil man sich freundschaftlich verpflichtet fühlt, wird das gute Verhältnis zum Problem. Und das ist das schmale Brett, auf dem Journalisten balancieren.

In meinem Fall rief der Pressesprecher ein paar Wochen später noch einmal an. Ich weiß nicht mehr genau, worum es ging. Tarifverhandlungen oder Stellenkürzeungen. Jedenfalls standen die Mitarbeiter vor dem Gebäude und demonstrierten. Ich war hingefahren und hatte mit ihnen gesprochen. Der Text war schon fertig. Vom Unternehmen hatte die Sache erst niemand kommentiert. Aber dann sagte der Pressesprecher, er würde mir noch eine Stellungnahme der Unternehmensleitung schicken. Ob ich die noch mit reinnehmen könne.

Kein unmoralisches Anliegen eigentlich, aber ich weiß noch, wie ich die Pressemitteilung las, nichts davon wirklich erwähnenswert fand, aber irgendwie doch dachte: Jetzt willste dich mal nicht so anstellen. Dann schreibste halt noch zwei Zitate rein. Dass ich auch an das Fußballspiel dachte, war wahrscheinlich kein Zufall.

Dieses Erlebnis fiel mir ein, als ich heute Morgen dieses Interview las. Ferdi Recker ist Redakteur im Lokalsport, und normalerweise trifft er sich einmal die Woche mit einem Sportler aus Emsdetten auf eine Tasse Kaffee, um darüber zu schreiben.

In dieser Woche traf er überraschenderweise „in der DEVK-VIP-Loge in der BAY-Arena“ den ehemaligen Schalker Fußballprofi Ingo Anderbrügge, den mit Emsdetten erst mal nicht so viel verbindet – außer vielleicht „das so beliebte DEVK-Fußballcamp“, das im Mai zum zehnten Mal in Emsdetten stattgefunden hat.

Wenn der Eindruck auf dem Foto nicht trügt, war die Atmosphäre „in der DEVK-Loge“ (Bildunterschrift) sehr freundschaftlich. Das deckt sich auch mit dem Eindruck, der sich aus dem Interview ergibt, in dem „’Eurofighter’ Ingo Anderbrügge“ Recker auf die Frage nach dem Hin und Her um Schalke-Manager Heldt zwar keine richtige Antwort gibt, aber immerhin auf die nicht gestellte Frage eingeht, wie er sich Journalismus vorstellt.

Ich weiß auch nicht, wer da was gesagt hat, wie es nach außen drang. Die Presse soll doch lieber über den guten Start berichten.

Den Rat nahm Ferdi Recker zwar nicht an. Stattdessen zeigte er, dass er in der Lage ist, deutlich bessere Vorlagen zu geben als zum Beispiel das Schalker Mittelfeld.

Da wäre zum Beispiel diese „Interviewfrage“:

Verkauf von Julian Draxler von Schalke nach Wolfsburg?

Oder diese hier:

Der aktuelle „Skandal“ um das Sommermärchen 2006?

Was soll Anderbrügge da schon sagen? Immerhin sagte er nicht: „Da ist soweit alles in Ordnung.“

Kurz darauf ist man mit dem Text durch, und es bleibt der unglückliche Eindruck, dass es bei Reckers Besuch „in der DEVK-VIP-Loge in der BAY-Arena“ nur in zweiter Linie um ein Interview ging, von dem auch Zeitungsleser etwas haben könnten.

Es ist natürlich verlockend in VIP-Logen eingeladen zu werden und dann auch noch mit Prominenten reden zu dürfen. Und ich will auch gar nicht ausschließen, dass sich bei solchen Gelegenheiten Dinge ergeben können, die über ein, zwei Banden dann doch wieder den Lesern nützen. Andererseits wäre es schon mit sehr wenig Aufwand möglich gewesen, das Ergebnis etwas weniger schlimm aussehen zu lassen. Und da muss man noch nicht mal bei den Fragen anfangen.

Man hätte zum Beispiel die seltsame DEVK-Schleichwerbung weglassen können. Man hätte erklären können, wie das Interview zustandegekommen ist. Ein Hinweis am Ende, dass die Versicherung den Nachmittag möglich gemacht und vielleicht auch bezahlt hat, wäre etwas aufschlussreicher und deutlich weniger ominös gewesen als die hier gewählte Variante. Ferdi Recker scheint sich jedenfalls nicht selbst in die VIP-Loge eingeladen zu haben, und wenn man das als Leser weiß, hat man vielleicht auch andere Erwartungen an so ein Interview.

Vielleicht hätte man auch einfach sagen müssen: Eine Einladung in die VIP-Loge zu einem Bundesligaspiel ist zwar sehr schön, aber möglicherweise doch ein etwas zu großer Gefallen für einen Redakteur, der mit Bundesliga-Fußball sonst gar nichts zu tun hat. Nur leider muss ich eben blöderweise auch zugeben: So was merkt man manchmal erst hinterher.

Kleiner Nachtrag (29. Oktober, 14.40 Uhr)
Ein Kollege wies mich soeben darauf hin, dass Ferdi Recker die Sache mit der Einladung hier in einem weiteren Text erklärt hat.

Noch ein Nachtrag (30. Oktober, 11.33 Uhr)
Der Link oben führt jetzt leider ins Nichts. Jemand scheint den Blogtext gelöscht zu haben, aber man findet ihn weiterhin hier im Cache.

Offenlegung:
Ich habe bis 2014 beim Verlag Lensing-Wolff gearbeitet, zu dem da auch noch die Emsdettener Volkszeitung gehörte.

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6 Kommentare

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Michael
30.10.2015 um 11:21

Hallo

Der Link aus dem Nachtrag geht leider nicht mehr. Scheint vor kurzem offline geworden zu sein (evtl. zu viel Aufmerksamkeit?). Zumindest bei google ist er noch zu finden.

Ralf Heimann
30.10.2015 um 11:41

Besten Dank für den Hinweis. Ich habe das gerade im Text aktualisiert. Wenn es jetzt auch noch aus dem Cache verschwinden sollte, überleg ich mir was Neues.

Bernhard
30.10.2015 um 13:49

Es ist noch ein weiterer Text in der gleichen Ausgabe, „Ordner möchte ich nicht sein“ , wieder aus der Versicherungs-VIP-Lounge, zum gleichen „Anlaß“, http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:6EOpQPUADFYJ:www.emsdettenervolkszeitung.de/lokalsport/emsdetten/Live-Fussballspiele-in-Leverkusen-und-in-Emsdetten-Ordner-moechte-ich-nicht-sein%3Bart956,2856217+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de