Texte am laufenden Band

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Auf der ersten Lokalseite der Westfälischen Nachrichten steht heute ein kurzer Kommentar zur Kriminalitätsstatistik:

„Immer mehr Tatverdächtige sind Ausländer. Das festzustellen, ist nicht ausländerfeindlich – sondern schafft vielmehr die Voraussetzung, ein Problem gezielt – und präventiv – anzugehen. Nicht die Thematisierung, sondern vielmehr die Tabuisierung der Ausländerkriminalität ist falsch.“

Der Grund dafür, dass es als ausländerfeindlich gilt, von Ausländerkriminalität zu sprechen, ist aber nicht falsche politische Korrektheit, sondern einfach die Tatsache, dass das Wort die kriminelle Gruppe, um die es hier geht, nicht gut beschreibt, und somit nur ein Vorurteil bestätigt, nämlich das, dass Ausländer generell eine größere Neigung hätten, kriminell zu werden, was natürlich nicht stimmt.

Die falsche Annahme ist, irgendwer wolle aus guter Absicht unter den Teppich kehren, dass viele Straftaten in Deutschland von Menschen begangen werden, die keinen deutschen Pass haben. In Wirklichkeit geht es aber nur darum, eine Gruppe nicht anhand eines Merkmals zu beschreiben, das überhaupt keine Aussage darüber zulässt, ob jemand kriminell ist oder nicht – auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht.

Wahrscheinlich hätten die Zahlen der Kriminalitätsstatistik auch die Schlagzeile hergegeben: 80 Prozent aller deutschen Tatverdächtigen im Münsterland sind katholisch. Diese Zuschreibung würde der Polizei aber keine Hinweise darauf geben, was gegen die Taten dieser Gruppe zu tun ist.

In Münster leben etwa 30.000 Ausländer. Die Stadt hat ungefähr 310.000 Einwohner. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei 9700 Tatverdächtige, 3600 von ihnen hatten keinen deutschen Pass. Knapp 500 der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass stammen aus den Maghreb-Staaten, etwa 260 waren Syrer.

Das ist schon eine etwas genauere Beschreibung, denn unter die Gruppe der Ausländer fielen ja auch die über 1600 Portugiesen und mehr als 1000 Italiener in der Stadt, von denen laut Kriminalitätsstatistik keine größere Bedrohung ausgeht. Doch selbst dann bliebe die Frage: Ist die Nationalität ein aussagekräftiges Merkmal?

Versuchsweise könnte man die Tatverdächtigen aus den Maghreb-Staaten und die Syrer mal in einen Topf werfen, dann schauen, welche Religion sie haben, und am Ende ließe sich vielleicht sagen: 60 Prozent aller ausländischen Tatverdächtigen sind Moslems.

Auch das wäre dann richtig, würde der Polizei aber ebenfalls keine Anhaltspunkte liefern. Eine andere Sache vielleicht schon, denn 1170 der Tatverdächtigen waren Asylbewerber. Alles Ausländer, aber diese Menschen ließen sich auch zu einer anderen Gruppe zusammenfassen, die etwas aussagekräftiger wäre.

Man könnte zum Beispiel sagen: Mindestens ein Drittel aller Tatverdächtigen ohne deutschen Pass hat keine Arbeitserlaubnis.

Und auch das mag in vielen Fällen nicht der Grund für die Straftat gewesen sein, die Tatverdächtige begangen oder eben nicht begangen haben. Es sind ja nur Verdächtige, und zum Anteil der Täter an den Tatverdächtigen ist in der Zeitung nichts zu lesen.

Das möchte ich Martin, der den Artikel geschrieben hat und den ich sehr schätze, gar nicht zum Vorwurf machen. Es geht um etwas anderes.

Ich mag sonst sehr, was Martin so schreibt. Er ist für mich einer der Gründe, diese Zeitung zu lesen. Und wenn man ihm etwas mehr Zeit gegeben hätte, wäre er – da bin ich mir sicher – in der Lage gewesen, ein wenig mehr über Fallstricke und Hintergründe der Kriminalitätsstatistik zu sagen, wie es bei einem so wichtigen und so leicht missverständlichen Thema wie diesem nötig gewesen wäre – und wie Lokalzeitungen es versprechen, ihren Lesern zu liefern.

Aber wenn man die Zeitung vom Dienstag durchblättert, sieht man: Martin hat zu großen Teilen den Aufmacher auf der Titelseite geschrieben.

Dann noch einen weitere Text über die Kriminalitätsstatistik auf der ersten Lokalseite, dazu den Kommentar links unten.

Er war am Montagmorgen bei einer Pressekonferenz zum Drehstart des neuen Wilsberg-Krimis. Daraus ist ebenfalls ein Aufmacher auf einer anderen Seite geworden.

Und er ist der Autor eines Texts über den Gewinner der Casting-Show „The X Factor“, der in Münster auftreten wird. Auch das ein Aufmacher.

Und sogar, wenn er den letzten Text schon am Montag geschrieben haben sollte, ergibt sich ein anderes Benennungsproblem. Das, was unter diesen Bedingungen entsteht, ist mit dem Wort „Lokaljournalismus“ nämlich nur sehr schlecht beschrieben. Denn Journalismus, das würde ja voraussetzen, vor der Veröffentlichung wäre noch irgendetwas überprüft worden – oder der Autor hätte sich vielleicht eine zweite Meinung eingeholt.

Aber so fährt ein Journalist zu einer Pressekonferenz nach der nächsten, und am Ende schreibt er aus Zeitknappheit einfach ungefiltert all das auf, was ihm gesagt und auf Zetteln mitgegeben worden ist. Möglichst etwas paraphrasiert, damit es nicht so aussieht, als hätte er die Pressemitteilung plagiiert. Das ist eher Alltag als Ausnahme, und das kann man natürlich auch so machen. Aber wenn die Zeitung Wert darauf legt, so offen zu sein, dass die Leser wissen, aus welcher Nation mutmaßliche Straftäter stammen, dann sollten ihre Leser vielleicht auch das erfahren.

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1 Kommentar

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Julz
25.04.2017 um 14:55

Danke. Gute Analyse und schlüssig formuliert – das ganze Elend der Medien im Jahr 2017. Da wird Geld und Politik auf Kosten von Minderheiten generiert. Hauptsache die Auflage rockt. Leider wollen die meisten Konsumenten auch lesen, dass die Ausländer böse Menschen sind. Wir sind so erzogen und sozialisiert worden. Postfaktisch. Und Wahlen gibt es gefühlt eh jeden Tag. Um den Schaden sollen sich dann bitte schön andere kümmern. Ein Scherbenhaufen.